Die strengen Mütter von Elbe-Weser-Dreieck

by - 00:42

Ich liebe ja Kinder im Kindergartenalter und der Grundschulzeit, weil sie einfach so herrlich brutal ehrlich sind. In der Vergangenheit habe ich in der Nachhilfe gejobbt, FSJ gemacht und auch ehrenamtlich viel mit dieser Altersgruppe gearbeitet und viel schrägen Scheiß erlebt. Da waren Kinder, die haben einfach mal die erste Strophe des Deutschlandliedes angestimmt. Und in solchen Momenten merkt man den Einfluss der Eltern oder anderer Verwandter. Die Kinder werden erstmals auf die Welt da draußen losgelassen und oft, wenn man sie reden hört, hört man die Überzeugungen ihrer Eltern.

So erinnere ich mich an ein süßes, elfenhaftes Mädchen bei einer meiner Aktivitäten, dass wirklich sehr fokussiert war auf das Thema Essen. Nur eine kleine Auswahl:
  • Bettina, du solltest nicht mehr essen, sonst wirst du noch dicker!
  • Ich frage mich, ob ich eine Diät machen sollte.
  • Ich darf nicht zu viel essen, sonst werde ich fett.
Die Gedankenwelt dieses Grundschulkindes richtete sich schon sehr danach aus, dass dieses Mädchen die Ansicht vertrat: Es ist wichtig in unserer Gesellschaft, dünn zu sein. Dick zu sein ist mit negativen Eigenschaften verbunden. Und diese Überzeugungen kamen eindeutig aus Richtung ihrer Eltern.

Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ist, mit diesen Überzeugungen aufzuwachsen. Meine großen Geschwister hatten stets gemeckert, dass ich zu dick sei, aber meine Eltern haben kein Bodyshaming betrieben. Dennoch weiß ich, dass es sie gibt. Die Eltern, die Bodyshaming am eigenen Kind betreiben. Wahrscheinlich nicht aus Böswilligkeit. aber eben aus eigenen Überzeugungen, die sie auch vertreten und in dem Glauben, dass sie nur das Beste für ihre Kinder wollen.

Ein Beispiel, dass sehr um die Ecke ist, ist mein erster Freund. Ich habe keinen Kontakt mehr zu meinem Ex und leider kann ich daher nicht nachfragen und meine These prüfen. Aber er hat oft an meinem Körper gemeckert und ich hatte das Gefühl, dass er eigentlich nur mit einem dickeren Mädel zusammen war, weil sein Vater das wollte. Er meinte schon beim ersten Date: "Du wirst meinem Vater gefallen. Ich soll zuhause keinen Hungerharken anschleppen." Und eigentlich stand er eher auf sehr kleine und dünne Mädels, hatte ich das Gefühl und a kam ihn meine Phase gelegen, als ich damals wie eine Besessene abnahm und natürlich dann wiederum nicht gelegen, als ich langsam wieder zulegte und nicht mehr hungerte, um das Gewicht zu halten.

Andere Beispiele gibt es zuhauf aus meiner Schulzeit. Meine Mutter ist wie eine gute Freundin, wir waren immer auf einer Ebene und sie war selten autoritär. Hallo? Ich wurde eh größtenteils anti-autoritär erzogen. Ich hätte eh nicht auf sie gehört. Selbst schuld also. Aber durch andere Menschen habe ich erst gelernt, was für ein krass schlechter Einfluss eine Mutter sein kann und wie stark sie ein junges Leben negativ beeinflussen kann.

Keiner will mutwillig Kinder in Essstörungen treiben, aber in meiner Jugend um das Jahr 2005 herum waren oft die Eltern eine treibende Kraft. Eine Bekannte von mir war im Ausland, hatte zugelegt und hatte eine sehr seltsame Abnehmphase, weil ihre Mutter ständig meckerte, dass sie ja echt fett geworden sei. Das ist eigentlich noch die harmloseste Geschichte. Vielleicht machte die Mutter sich einfach Sorgen, aber das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter war in diesem Falle sehr schwierig. Die Mutter war selbst ein Weight Watchers Fan, die Tochter aber aß kein Fleisch und jobbte letztendlich auch neben der Schule, um für sich selbst Lebensmittel kaufen zu können und nahm so auch wieder ab. Zu dieser Bekannten verlor ich den Kontakt und traf sie irgendwann nach einem Stadtfest im Fast Food Restaurant, der Kumpel meines damaligen Freundes hatte noch Hunger. Da saß sie, glücklich, aber mit etwas mehr auf den Rippen. Mein damaliger Freund machte sich noch tagelang über sie lustig, er und sie haben sich nie sonderlich leiden können. Aber ich fand es super, dass sie gelernt hatte, sich darüber hinweg zu setzen, was ihre Mutter über sie dachte.

Ich meine, in der Kindheit und Jugend ist es doch bei uns allen so: Wir wollen unseren Eltern gefallen. Diese Phase haben wir eben mal früher, mal später, wir möchten gelobt werden für gute Leistungen und das wir brave Kinder sind.

Aber genauso wichtig ist es dann, irgendwann loszulassen und zu erkennen, dass das eigene Bild und der eigene Wert wichtiger ist und das, was man selbst für sich fühlt als die Meinung der Anderen, auch der Eltern. Dafür wurde ja quasi die Jugend erfunden. Um Grenzen auszutesten und flügge zu werden.

In der Realschulzeit gab es diese Mädels, die immer bauchfrei zur Schule kamen und aller Welt ihren Tanga präsentierten. Ich hielt nichts davon und zelebriere einen Antilook, in dem ich Kurven bewusst versteckte und ziemlich verhüllt war. Unvorteilhaft, aber dramatisch, wollte ich doch nicht das sexuelle Interesse meiner Mitschüler wecken.

Später nach der Realschulzeit lernte ich einige der Bauchfreimädels besser kennen und fand sie sehr nett, sie erzählten mir mehr über sich und ich verstand sie besser. Ich berichte euch heute einer, nennen wir sie Mia.

Mia fand ich immer sehr zickig, sie lästerte viel hinter dem Rücken von anderen Leuten und war manchmal krass direkt. So direkt, dass es wehtat. Sie war wirklich eine Schönheit, ein bisschen wie ein Britney Spears Double, das Schönheitsideal der damaligen Zeit voll erfüllt. Ob sie Sport machte, weiß ich ehrlich gesagt nicht, aber sie war in festen Händen und hatte einen großen Freundeskreis. So gut kannte ich sie nicht, war aber auch mal bei einem ihrer Parties. Sie kam eher von außerhalb und irgendwann erzählte sie mir, dass ihre Mutter richtig süchtig nach Sport sei. Noch beunruhigender fand ich aber folgende Geschichte:

Mia hatte Kleidung aussortiert, die ihr nicht mehr gefiel. Ihre Mutter, eine Size Zero, zupfte eine Jeans aus dem Altkleiderbeutel und probierte sie an. Die Jeans war ihr etwa 2 Nummern zu groß. Dann bemerkte sie abfällig: "Du passt in diese Jeans nicht mehr rein? Mann, du bist ganz schön fett geworden." Mia hatte Tränen in den Augen, als sie uns damals auf dem Weg zur Schule davon berichtet hat. Ihre Mutter war sehr klein und gertenschlank, sie hingegen größer gewachsen und eben mit mehr Kurven. Mia hatte eine Größe 36/38, hatte nicht zugenommen, aber das ihre Mutter ihr einen Vortrag dann darüber hielt, dass sie zu dick sei, hatte ihr das komplette Wochenende versaut. Und wir alle wissen, dass in der Jugend selbst ein Wochenende eine mörderwichtige Sache sein kann und selbst ein kleiner Streit ein prägendes Erlebnis.

Wie heute Mia darüber denkt, weiß ich leider nicht. Nur, dass ihre Mutter noch immer genauso schlank ist und viel Sport macht. Ich hoffe, sie hat gelernt, dass die Meinung ihrer Mutter nicht maßgeblich ist, sondern ihr eigenes Wohlfühlgefühl für ihren Körper.

Allerdings gehöre ich und wahrscheinlich viele meiner Generation zu der Sorte Mensch, die sich freuen, kein Jugendlicher im Jahr 2018 zu sein. Schon zu meiner Jugend gab es die Pro-Ana-Bewegung und Blogs zu dem Thema. Aber heute ist es sicherlich noch viel heftiger als damals, denn Instagram, Körperkult, alles hat man nun nicht nur in Zeitschriften, Fernsehen oder daheim am Laptop, sondern eben auch überall bei sich in der Hosentasche und sieht die TransformationTuesdays, die eben allesamt sagen: Dünn zu werden ist ein Erfolg, dieses oder jenes Körperbild ist erstrebenswert. Und dick sein und sich trotzdem zu mögen ist ein Tabu.

Was soll ich für einen Rat geben? Ich selbst bin ratlos ... Vielleicht wisst ihr ja Rat?




You May Also Like

0 Kommentare