Jungs finden mich sexy. Und ich finde mich auch sexy. Na und?

by - 23:52

Kommen wir mal zu allererst zu einem Plussire-Thema, dass ich immer wieder hörte, aber selbst nie kannte. Ich lese es oft und denke: Vielleicht hat sich die Gesellschaft inzwischen leider in dieser Hinsicht stark zum schlechten verändert. Oder vielleicht ist das auch eine Angst in den Köpfen vieler betroffener Menschen? Ich glaube, es ist wie immer ein bisschen von beiden.

Etwas, was ich immer lese, ist Folgendes:
Ich finde keinen Freund. Es gibt keine Männer, die auf dicke Frauen stehen. Es gibt da jemanden, den ich ansprechen möchte, aber sicher steht er nicht auf dicke Frauen. Ich möchte nicht Sex haben bei Licht, weil er dann sieht, dass ich Cellulite/hängende Brüste/einen dicken Bauch habe. 

Wenn ich über solche Themen schreibe, kann ich erst einmal nur aus meiner eigenen Sicht schreiben und meine Geschichte euch erzählen.

Meine Geschichte - die bonsexuelle Phase


Sexualität beginnt ja immer in der Jugend, ich wurde mi 6 eingeschult, was damals nicht üblich war und meist mit Abstand die Jüngste in der Klasse. Dass auf der Realschule dann viele Sitzenbleiber, die noch ein Jahr älter waren, machte die Sache nicht besser. In dieser Zeit war ich ziemlich anti drauf. Ich hatte meine Gründe. Das müssen wir nicht weiter vertiefen. Und meine beste Freundin (bis heute!) ist drei Jahre älter als ich, an Alkohol und Parties kam ich, wenn ich wollte. Meine Eltern haben es mir auch nicht verboten. Sie meinten: "Du bist verantwortungsbewusst genug. Du kannst selbst die Konsequenzen für dein Handeln tragen und dein Umfeld und deine Freunde werden schon dazu beitragen, dass du nicht besoffen im Graben liegst."

So sehr es manchmal schwierig war mit meinen Eltern, in diesem Bereich war ich immer eine Langweilerin. Meinen ersten Alkohol hatte ich mit 13 Jahren, ich trank ab und an einen Alkopop oder so, aber Filmrisse hatte ich nie, meine größten besoffenen Mails fanden einmal mit 16 und dann im Studium statt und lassen sich an einer Hand abzählen. Ich hatte viele außerschulische Aktivitäten im musikalischen Bereich und Pfadfinder, meine Freunde dort haben mich quasi durch die Schulzeit gerettet, erst später ab der 9. Klasse fand ich gute Freunde in meiner eigenen Klasse.

Aber die Realschulzeit trug für mich zu einer Anti-Haltung in Sachen Sexualität bei. Meine Klassenkameraden sauften und vögelten, waren deutlich älter als ich und ich hatte keinen Bock auf bauchfrei, meine Brüste positiv hervorzuheben oder irgendeinen anderen Scheiß. Ich war nicht auf deren Parties, ich ging nicht dauernd ins Kino. Am Wochenende gab es weder Party noch Disco, ich hatte Auftritte oder war unterwegs. Meine Woche hatte auch immer volles Programm. Also. Mit Jungs ging rein gar nichts. Dazu war auch keine Zeit. Und ich brauchte es auch nicht. Mein Leben gab mir genug Erfüllung. Ich dachte gar nicht an Sexualität.

Und dann kam der Wechsel. Meine Englischlehrerin, möge sie in Frieden ruhen, würgte mir eine 4 ins Zeugnis, durch diese eine kleine Note durfte ich quasi auf der höheren Handelsschule eine Ehrenrunde drehen.
Kleiner Exkurs: In der Realschulzeit hatte ich so richtig keinen Bock, die Lehrer waren mies und wenn diese sagen: "Ist mir egal, was ihr für Noten habt. Ich krieg trotzdem mein Gehalt.", dann ist das schon scheiße. Ergebnis: Schnitt von 3.8 oder 3.7 - ich müsste mal gucken. Meine Eltern waren auch da anti-autoritär und meinten: "Du schreibst die Noten nicht für uns, ist dein Ding, was du mit deinem Leben anfängst." Aber mein Opa, selbst Lehrer, hat mich unter seine Fittiche genommen und mit mir einen Sommer gelernt. Und festgestellt, dass ich wirklich einiges drauf habe. Innerhalb eines Jahres ist mein Notenschnitt auf 2,8 gestiegen. Nur die Englischnote hinderte mich am erweiterten Realschulabschluss. Na danke auch.

Nun war ich vollkommen unterfordert und lernte noch einmal Dreisatz und alle Basics, das alles war für mich Wiederholung und ich schrieb eine 1 nach der anderen. Nennt es Karma, aber ich verstand mich mit eigentlich allen in der Klasse gut, meine Peergroup bestand sogar aus Realschulklassenkameradinnen, mit denen ich vor und nach dieser Zeit wenig zu tun hatte. Und als ich ein Mädel verteidigte, stellte sie mir jemanden vor, meine erste Beziehung, die ziemlich viele Jahre hielt.

Erster Freund und Essstörung


Meine erste Beziehung war durchaus schwierig, meine Ansprüche an mich und meine Situation war schwierig und ich war essgestört. In dieser Zeit war ich super in der Schule, aber meine Gedankenwelt bestand nur aus Leistung bringen und mein Körper war mein Feind. Ich wollte immer weiter abnehmen. Und gleichzeitig fühlte ich mich durch das Hochgefühl, dass ich abgenommen hatte, sehr sexy. Sehr verwirrend, aber diese Gedanken waren kein Widerspruch. Und als ich im Studium teilweise sehr wenig Zeit fürs Essen hatte und langsam wieder etwas mehr zunahm, meckerte mein damaliger Freund, dass ich weniger sexy sei, wenn ich dick werde. Na toll aber auch. Für Bodyshaming braucht man kein Social Media.

Ich sang erst in einem genialen A Capella Chor in Göttingen und machte Import, was meinem Gefühl für meinen Körper auch sehr gut tat, fand dann zum Theater und liebte es. Es war harte Arbeit, die süchtig machte. erst schminkte ich nur, aber ich wollte mehr, bekam spontan zwei kleine Rollen auf der Bühne und einen Platz als Regieassistentin. Die Theaterwelt ist, was das Casting angeht zwar oberflächlich, aber andererseits ist jeder gleich. Männlich, weiblich, trans, mit Beeinträchtigungen, zurückgezogen, Rampensau - das spielt vielleicht für die Besetzung eine Rolle, aber jeder wird akzeptiert und aufgenommen. Das Drama hinter der Bühne findet dann an anderer Stelle statt.

2011 spielte ich im Juli ein 13jähriges Mädchen, dass verprügelt und unter Drogen gesetzt wurde, im August war ich dann ein sexy Groupie im kurzen Ringelkleidchen, trug zum ersten Mal in meinem Leben nackige Beine statt blickdichter Strumpfhose und stolzierte in dem postdramatisch inszenierten Stück über die Bühne. So viel Zuspruch steigert das Selbstbewusstsein. Davon hatte ich nicht viel in meiner ersten Beziehung. Er war da und er liebte mich natürlich, aber wir stritten oft und heftig, ich galt als hysterisch und eine Zicke, aber mich nervte es, dass ich 6 Stunden Zug fuhr pro Tour am Wochenende von Göttingen nach Cuxhaven, um ihn regelmäßig zu sehen, aber er dann nicht verstand, dass ich nach der langen Reise nicht noch feiern gehen wollte. Das ich mich damals nicht direkt getrennt habe, war mein größter Fehler, denn so habe ich wenig Zeit am Wochenende in Göttingen verbracht und dort Freunde und Bekannte meist über meine Hobbys gewonnen und blieb im Studium eine Einzelgängerin. Mein damaliger Freund sah nicht, was ich für ihn auf mich nahm und beschwerte sich noch, ich käme nur zu ihm, damit er für mich kochen kann. Das war wohl ein großer Unzufriedenheitsfaktor, der unsere Beziehung langsam zerstörte. Ich ging erst nicht mit auf Parties und blieb bei ihm alleine, dann kam ich immer weniger zu ihm und er besuchte mich ja nicht, weil es Geld kostete und ging lieber feiern.

Die Befreiung 


Dann passierte etwas Seltsames. Mein damaliger Freund wurde eifersüchtig auf mein Hobby, weil er sah, dass ich mich veränderte, ein Umfeld hatte, dass er gar nicht kannte. Er hatte ein Jahr nach mir Abi gemacht, danach Zivi im Altenheim und dabei den Anmeldeschluss für die Uni verpennt und schrieb sich einfach an meiner Uni ein. Später meinte er bei der Trennung, ich hätte ihn dazu gezwungen. In meiner Erinnerung hatte ich ihm eine Liste mit Optionen geschrieben und einige Unis vorgeschlagen und Fächer, in denen man sich zulassungsfrei einschreiben konnte. Aber er hat sich eben für meine Uni entschieden.

Was dann passierte, müssen wir nicht vertiefen. Es endete damit, dass wir getrennt waren und ich eine Phase hatte, in der ich mich zum ersten mal austoben und Dates haben konnte. Und ich muss gestehen: Ich hatte große Auswahl, die Trennung war wirklich eine Befreiung für mich, denn ich hatte ja nie richtig Dates gehabt und mich im Flirten ausprobiert. Es wuchsen keine Beziehungen, meine Beziehungen waren meist so Unfälle. Aber es gab mir noch mehr ein Gefühl dafür, dass mein Körper ein schöner Körper ist und ich hatte nie Probleme, einen Freund zu finden.

Ehrlich gesagt habe ich mir bis vor weniger Zeit keine bewussten Gedanken zu dem Thema Selbstliebe gemacht. Das mit der Selbstliebe und Selbstakzeptanz ist einfach so passiert. Auch ein Faktor war das positive Feedback anderer Menschen und Freunde und Familie, die nicht an mir meckerten und nörgelten. Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort und weiß, dass ich mich glücklich schätzen kann. Denn es gibt so viele andere Geschichten, die nicht so prickelnd sind.

Selbstbewusstsein macht euch sexy. Wenn ihr euren Körper verändern wollt, dann macht es auf gesunde Weise und hungert euch nicht runter wie ich, es wurde bei mir zu einer Sucht und dauerte Jahre, bis ich wieder einigermaßen auf Essen klarkam. Bis heute sehe ich Essen und kann die Kalorien dazu relativ genau schätzen. Manche Lebensmittel sind sehr schwierig wie Brot, weil in meinem Kopf die Meinung herrscht: "Brot ist böse." Aber ich habe eine gute Art und Weise gefunden, mich inzwischen gesund und ohne schlechtes Gewissen zu ernähren.

Aber der Schlüssel ist nicht, wie euer Körper ist, sondern dass ihr euch lieben lernt. Total abgedroschen, ich weiß. Aber die Liebe eurer Eltern, Freunde, eures Partners kann nicht die Liebe ersetzen, die ihr für euch selbst empfindet.

Köln-Ehrenfeld, den 27.09.2018

Bettina



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